Karin von Schumann im Gespräch mit Ulrike Wolski

Karin von Schumann im Gespräch mit Ulrike Wolski.
Karin von Schumann im Gespräch mit Ulrike Wolski.

Karin von Schumann im Gespräch mit Ulrike Wolski, Personalentwicklerin und interner Coach bei den Stadtwerken München:

 

KS: Coaching als Führungsstil – welche Assoziationen ruft das bei dir hervor?

 

UW: Die größte Überschneidung von Führung und Coaching besteht darin, in bestimmten Gesprächssituationen Förderung, Inspiration oder Entwicklung anzubieten. Das kann durchaus auch in fachlichen Gesprächen stattfinden. Es geht darum, eine gewisse Freiheit herzustellen, Offenheit zu schaffen, Feedback zu geben, also dem Mitarbeiter aus einer bestimmten Haltung heraus zu begegnen.  Coachingprozesse zu starten, wie wir das als Coaches machen - das sehe ich bei Führungskräften nicht. Jedenfalls findet das so in unserem Unternehmen nicht statt. Ich bin der Überzeugung, dass Coach zu sein und Führungskraft zu sein etwas sehr Unterschiedliches bedeutet.

 

KS: Du spielst an auf die unterschiedlichen Rollen von Coaches und Führungskräften und mögliche Rollenkonflikte, die sich für die coachende Führungskraft ergeben könnten.

 

UW: Das meine ich, ja. Und ich denke auch an das Gefüge: Eine Führungskraft trägt übergreifende Verantwortung, die über die individuelle Führung des Mitarbeiters hinausgeht. Da gibt es scharfgestellte Aspekte wie etwa die Erreichung der Bereichsziele, die sie berücksichtigen muss. Als Coaches müssen wir diese nicht vertreten bzw. nicht ins Coaching einbringen.

 

KS: Ich halte da jetzt mal bewusst dagegen. Die Führungskraft sieht den Mitarbeiter im Alltag, kann sein Verhalten beobachten und ist von daher sehr nahe an der Entwicklung dran. Und wenn ich an neue Ansätze denke, wie agile Führung oder dienende Haltung der Führung, dann dürfte das Thema „Hierarchiebarriere“ bald nicht mehr zeitgemäß sein

 

UW: Da sprichst du zwei Aspekte an. Zunächst zum ersten Aspekt, der Nähe zum Mitarbeiter. Die ist sicherlich hilfreich, um in Gesprächen, in denen es um Fragen geht wie z. B. „Wie gehe ich ein Thema an, wie führe ich es weiter, wo entstehen Hindernisse?“ oder „Traue ich mir dieses Projekt zu?“, als Führungskraft zu beraten. Tatsächlich aber brauchen wir als Coaches dieses Wissen nicht wirklich, um gut unterstützen zu können. Zur agilen Führung kann ich sagen, dass wir uns, wie sicherlich die meisten traditionellen Unternehmen, sehr dafür interessieren, aber noch ganz am Anfang stehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die coachingorientierte Haltung einer Führungskraft in agilen Strukturen deutlich mehr Platz hat. Aber ich muss halt als Führungskraft möglicherweise am Folgetag dennoch ein sehr hartes Gespräch führen. Und in diesem Kritik- oder Leistungsgespräch auf eine ganz andere Haltung zurückgreifen.

 

KS: Ja, da ist möglicherweise in agilen Strukturen ein noch größerer Spagat gefordert. Was hältst du davon, dass die Führungskraft zu einem bestimmten Thema und für einen bestimmten Zeitraum explizit mit dem Mitarbeiter an seiner Entwicklung arbeitet? Also regelmäßige Gespräche anbietet, in der entsprechenden Haltung, die wir oben schon beschrieben haben? Beispielsweise mit der Maßgabe: „Ich arbeite mit dir an deiner Durchsetzungsfähigkeit, damit ich dich dann zu dem Potentialverfahren schicken, also gezielt weiter fördern kann.“

 

Ulrike Wolski, Personalentwicklern und interner Coach bei den Stadtwerken München.
Ulrike Wolski, Personalentwicklern und interner Coach bei den Stadtwerken München.

UW: Da gibt es zwei Blickwinkel, die ich dazu einnehmen könnte. Wenn ich es sehr genau nehmen würde (lacht), dann fände ich es an der Stelle sauberer, es nicht Coaching zu nennen. Das hat aber nichts mit der Alltagspragmatik zu tun, das weiß ich, denn faktisch wird so etwas natürlich Coaching genannt. Ja, so etwas in der Art gibt es auch bei uns. Mitarbeiter, die intensiven Kundenkontakt haben, werden dazu geschult und es finden Aufnahmen zu Kundentelefonaten statt. Diese müssen natürlich ausgewertet werden, meist von externen Coaches oder Trainern mit entsprechender Expertise. Aber auch durch Führungskräfte, die gemeinsam mit ihren Mitarbeitern herausarbeiten, wo und wie genau der Mitarbeiter sich verbessern kann. Natürlich sieht so ein Gespräch vordergründig wie ein schönes, klassisches Coachinggespräch aus („Was ist da passiert? Was hat Sie dazu gebracht, so zu reagieren? Welche Alternativen hätte es gegeben?“) Trotzdem bleibt es ja faktisch so, dass die Führungskraft den Mitarbeiter bewerten wird und es um eine gezielte Performancesteigerung geht. Also, auch wenn die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft noch so gut ist, kann und wird man diese Tatsache nicht ausblenden bzw. wegdiskutieren können.

 

KS: Was ist deine Erfahrung, wie stehen Führungskräfte dazu, coachingorientiert zu führen? Mein Eindruck aus vielen Gesprächen mit meinen Coachees ist, dass die Führungskräfte sich zunehmend mehr mit dieser Rolle identifizieren und diese sehr positiv belegen.

 

UW: Ich habe zwar keine Umfrage dazu gemacht (beide lachen), aber ich teile deine Einschätzung sehr. Viele empfinden es als Anreicherung ihrer Rolle und es stellt für sie eine hohe Faszination dar, so zu führen. Auch kann es eine Entlastung sein, durch gute Fragen ein Stück weit mehr den Mitarbeiter arbeiten zu lassen, anstatt an sich selbst den Anspruch zu haben, immer sofort selbst die Lösung parat zu haben.

 

KS: Das finde ich einen sehr guten Punkt! Ich kenne das aus vielen Coachings, wenn Führungskräfte in Gesprächen, die wir simulieren, erleben, wieviel weniger sie selbst „arbeiten“ müssen, wenn sie konsequent in der fragenden Haltung bleiben und wieviel besser sie damit ein Gespräch führen und steuern zu können – und dabei auch noch viel mehr erfahren.

Apropos Tools und neue Führungstechniken: Mehr und mehr meiner Coachees setzen sich mit Führung 4.0 auseinander und wollen hierzu im Coaching Anregungen. Tenor „Ich merke, die jüngeren Mitarbeiter erwarten von mir ganz viel Feedback und Entwicklung. Ich möchte reflektieren, wie ich diesen Erwartungen gerecht werden kann“. Sie spüren also veränderte Erwartungen seitens der Mitarbeiter und haben Interesse daran, eine neue Führungshaltung zu entwickeln und entsprechende Tools zu erlernen. Inwiefern kannst du das für eure Führungskräfte bestätigen? Ich weiß, dass bei den SWM die Führungskraft als der erste Entwickler seiner Mitarbeiter gilt.

 

UW: Wir bewegen uns insgesamt schon lange, aber immer wieder mit neuem Akzent und mit neuer Flächenwirkung auf den Weg hin zu weniger hierarchischen Führungsstilen

 

KS: Was fehlt den FKs handwerklich am meisten, um „zeitgemäß unhierarchisch“ zu führen?

 

UW: Etliche, häufig jüngere Führungskräfte erlebe ich als unglaublich empathische, feinsinnige und mitarbeiterorientierte Menschen. Das ist sehr beeindruckend! Diesen Führungskräften geht es kaum mehr um Hierarchie oder Status, sondern darum, ihren Bereich gemeinsam mit ihren Mitarbeitern bestmöglich voranzubringen. Bei diesen Führungskräften ist es tatsächlich so, dass sie eher mehr konfrontierende Techniken bräuchten, lernen müssen, auch unbequem zu sein und im Gespräch klar zu fordern. Andere Führungskräfte zeigen sich zwar auch sehr aufgeschlossen und möchten Gespräche in einer anderen Art führen, doch fällt es ihnen enorm schwer, nicht gleich in Bewertungen und Interpretationen zu verfallen, sondern bei der puren Wahrnehmung zu bleiben. Was diese benötigen, ist wohl mehr eine Wahrnehmungsfähigkeit als Gesprächstechniken.

 

KS: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Im Coaching zitiere ich manchmal C.J. Jung mit seinem bösen, aber irgendwie aber auch treffenden Spruch: Denken ist schwer, darum urteilen die meisten.

 

UW: Was mir zum Thema Techniken gerade noch einfällt – ein Stück weit ins Unreine gesprochen: Ergebnis- und Lösungsorientierung wurde vor etlichen Jahren sehr, sehr stark propagiert. Da gab es die Empfehlung, immer erst den Mitarbeiter nach Lösungen zu fragen und nicht selber in Vorlage zu gehen. An manchen Stellen ist das regelrecht gekippt als Technik. Mitarbeiter hatten kaum noch die Chance, die Lage zu schildern und ihre Unsicherheiten darzulegen, weil sie schon wussten: „Ich muss sofort mit einer Lösung kommen. Habe ich aber selbst grad keine, kann ich eigentlich gar nicht zu meinem Chef gehen“. Will sagen, jede Technik hat ihre Grenzen und auch lösungsorientiertes Fragen darf nicht dazu führen, nur noch über Praktikables zu sprechen. In jeder guten Führungsbeziehung braucht es einen Raum, in dem so etwas wie Unsicherheit, Nicht-Wissen und die Suche nach Orientierung Platz finden dürfen.

 

KS: Da stimme ich dir absolut zu! Dennoch ist meine Erfahrung, dass einfache Regeln oder Tools in der Führungspraxis oft sehr nützlich sein können. So hat mir kürzlich ein junger Seminarteilnehmer, der als interner Agile Coach ausgebildet ist, eine Kommunikationsregel des agilen Führens erläutert, die mir echt gut gefällt. Die Regel lautet: Verknüpfe jeden Auftrag mit einer Begründung, wozu dieser dienen soll. Damit wird dem Mitarbeiter immer die Chance gegeben, den Kontext zu verstehen und eine alternative Lösung bzw. eine eigene Idee einzubringen. Und dahinter steht ja wieder eine Haltung, die den Mitarbeiter ernst nimmt und ihm Lösungskompetenz zutraut.

 

UW: Ich denke, dass diese Art der Kommunikation auch sinnstiftend wirkt. Agiles Führen und Arbeiten ist in Konzernen wie den unseren derzeit sicher nur in Ausschnitten realisierbar. Allerdings besteht ein sehr großes Interesse an dieser Entwicklung und ich habe schon den Eindruck, dass sich im Mindset etwas verändert. Wir denken darüber nach, was Führen und Geführt werden heute bedeutet und welche anderen Arten des Miteinanders im Team es gibt. Das Verhalten, das man über Jahre gepflegt hat, ist nicht mehr selbstverständlich, sondern diskussionswürdig. Da habe ich den Eindruck, dass etwas aufbricht und bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt.

 

KS: Ich auch, liebe Ulrike, und vielen herzlichen Dank für deine Zeit und den interessanten Austausch!

 

UW: Sehr, sehr gerne.