Karin von Schumann im Gespräch mit Thomas Steininger

Thomas Steininger, Manager HR Development, Linde AG
Thomas Steininger, Manager HR Development, Linde AG

Thomas Steininger

Manager HR Development

Linde AG

 

KS: Coaching als Führungsstil – wie relevant ist dieses Thema aus deiner Sicht und in deiner Arbeit?

 

TS: Coaching durch die Führungskraft ist sicherlich ein Trend, der gerade stark im Wachstum begriffen ist. Früher war die Verknüpfung der beiden Begriffe „Coaching“ und „Führung“ eher unüblich, entweder war man Führungskraft oder man war Coach. Heute ist das ganz anders. Wir werden immer häufiger angefragt, Trainings und Workshops für Führungskräfte mit diesem Thema zu verbinden. So haben z.B.  Sicherheitsschulungen einen sehr hohen Stellenwert in unserem Unternehmen und ein ganz zentraler Aspekt, der kürzlich für ein elearning nachgefragt wurde war: „Wie können Führungskräfte das Thema Sicherheit in einem coachingorientierten Modus vermitteln?“ Mittlerweile ist das Thema Coaching auch Inhalt unserer Führungskräfteentwicklung. Natürlich erhalten die Teilnehmer in unseren Führungskräftetrainings keine vollumfängliche Coachingausbildung, aber sie lernen, eine coachingorientierte Perspektive einzunehmen: Schau wo dein Mitarbeiter steht, hole ihn da ab, führe ihn durch Fragen – das sind Inhalte, die sehr gut ankommen.

 

KS: Was sind aus deiner Sicht die Chancen und wo liegen vielleicht auch Risiken, wenn Führungskräfte coachen?

 

TS: Die Bedürfnisse und Ansprüche im Hinblick darauf, wie Menschen geführt werden wollen, verändern sich stark. Das erlebe ich bei uns im Unternehmen ebenso wie bei meiner Lehrtätigkeit an der Hochschule. Ein rein direktiver Führungsstil wird heute einfach nicht mehr akzeptiert! Um den Mitarbeiter von heute abzuholen, ist ein neues Führungsverständnis notwendig. Ob man dieses jetzt Coaching als Führungsstil oder Empowering Leadership nennt, bzw. wo beides sich überschneidet, überlassen wir jetzt mal der Führungsforschung… Eine weitere Chance eines coachingorientieren Führungsstils liegt darin, dass dieser sehr viel effizienter und zielführender ist, wenn es darum geht, Mitarbeiter in Richtung Flexibilität und Veränderungsbereitschaft zu entwickeln. Und genau das ist in unserer Zeit, in der sich Unternehmen immer schneller verändern, unerlässlich. Ein wertvoller Zusatzeffekt ist, dass Führungskräfte, die sich mit dem Thema Coaching beschäftigen, häufig auch sich selbst und die eigenen Verhaltensweisen stärker reflektieren. Tatsächlich bieten wir – natürlich nur sehr ausgewählten – Führungskräften auch einmal eine Coachingausbildung als Entwicklungsmaßnahme an.

 

KS: Ihr bietet tatsächlich Führungskräften von Unternehmensseite her eine Coachingsausbildung an?

 

TS: Ja, das tun wir tatsächlich! Es handelt sich, wie gesagt, um sehr ausgewählte Führungskräfte. Das ist beileibe keine Maßnahme, die wir „mit der Gießkanne“ verteilen. Mittlerweile können wir dadurch auf einen zwar kleinen, aber stetig wachsenden Pool an internen Coaches zurückgreifen.

 

KS: Darauf wollte ich zu sprechen kommen. Diese ausgebildeten Führungskräfte coachen nicht nur ihr eigenes Team, sondern nehmen die Coachrolle auch gegenüber anderen Mitarbeitern ein, richtig?

 

TS: Ganz genau. Das ist natürlich optional, nicht jede Führungskraft eignet sich zum Coach oder möchte sich als Coach betätigen. Es gibt jedoch einige Personen, die darin ein Jobenrichment sehen. Und für einige Coachinganfragen kann es auch tatsächlich hilfreich sein, auf interne Coaches zurückgreifen zu können.

 

KS: Das sehe ich genauso. Ich habe gerade bei einem Kunden die Personalentwicklerinnen darin geschult, ein Führungswechselcoaching durchzuführen. In diesem Konzern wird jetzt bei jedem Führungswechsel ein gut strukturiertes „Coaching into the new Job“ angeboten und für die Teamleiterebene übernehmen schwerpunktmäßig interne Coaches diese Aufgabe. Das stellt für die Personalentwicklerinnen ein Jobenrichment dar, wie du es eben erwähnt hast. Für die neuen Führungskräfte hat es den Vorteil, dass die internen Coaches die Kultur und die Strukturen gut kennen – was gerade bei diesem Thema sehr hilfreich sein kann.

 

TS: In der Tat ein gutes Beispiel, bei dem der eigentliche Vorteil externer Coaches – Abstand – nicht immer notwendig ist, firmenspezifisches Wissen und Erfahrung dagegen sehr hilfreich sein können. Bei uns sind Führungskräfte, die sich als Coaches zur Verfügung stellen, in der Regel schon seit 15 bis 20 Jahren im Unternehmen und „atmen“ praktisch die Kultur. Es versteht sich von selbst, dass ich vorher sicherstelle, dass dem Coaching kein zu problematischer Anlass zugrunde liegt – das wäre für mich dann ein Indikator dafür, einen externen, professionellen Coach zu beauftragen.

 

KS: Wir haben vorher schon etliche Chancen von Coaching durch die Führungskräfte besprochen. Siehst du auch Risiken?

 

TS: Wenn Coaching durch die Führungskraft eine ungesteuerte Entwicklung ist, birgt dies auch Risiken. Es gibt nach wie vor sehr viele Fragestellungen, für die ich nur einen externen Coach mit einer fundierten Ausbildung und Erfahrung einsetze. Das gilt nicht nur, aber natürlich ganz besonders für Themen, bei denen es zu vermuten ist, dass man im Verlauf des Coachings auf psychische Probleme des Coachees stoßen könnte. Für solche Coachinganlässe sind entsprechende Zusatzkompetenzen des Coaches unabdingbar. Nur ein auch psychologisch ausgebildeter Coach kann die Grenzen im Coaching erkennen und wissen, was im Coaching möglich und bearbeitbar ist – und was eher in die Hände eines Therapeuten gehört. Wichtig ist also ein klares, firmeninternes Konzept: „Wer coacht was?“ Sprich, wann ist welche Kompetenz wichtig bzw. unverzichtbar und wo liegen genau die Vor- und Nachteile von internen vs. externen Coaches. Die Fälle für die internen Coaches müssen sehr sorgfältig ausgewählt werden. Dann hat Coaching durch Führungskräfte den Vorteil, dass sich die Kultur in Richtung einer positiven Einstellung gegenüber Coaching deutlich verbessert: Es wird ein Teil der Normalität, sich Begleitung und Unterstützung in Form von Coaching zu holen.

 

KS: Coachingorientierte Unternehmenskultur – hast du da eine Vision, wie die sein könnte?

 

TS: Ein wichtiges Ziel und gleichzeitig ein positiver Nebeneffekt von Coaching durch die Führungskräfte liegt darin, dass ein gemeinsam getragenes Verständnis darüber entsteht, dass und wie wir Feedback geben und einholen müssen. Und dass die Grundprinzipien des Coachings bekannt sind und Selbstreflexion für jede Führungskraft ein zentrales Thema ist. Es entsteht also eine Kultur, in der Entwicklung, Veränderung und Selbstreflexion wichtig und zentral sind.

 

KS: Dass Selbstreflexion auf breiter Ebene gegeben ist, würde ich auch als zentrales Merkmal einer Coachingkultur verstehen. Aber über eine Feedbackkultur reden wir doch nun seit mindestens zehn Jahren, das sollte doch wohl inzwischen selbstverständlich sein…

 

TS: Im Führungsalltag gibt es sehr große Unterschiede im Verständnis darüber, was entwicklungsorientiertes Feedback ist. Ich stelle immer wieder fest, dass Führungskraft und Mitarbeiter zwar regelmäßiges Feedback vereinbaren und auch der Meinung sind, dass dies stattfindet. Wenn man jedoch genau hinsieht, dann erfolgen die Rückmeldungen meist nur zu projekt- oder fachbezogenen Themen wie: „Wie ist das Projekt gelaufen? Wie bist du mit dem Kunden zurechtgekommen? Das war gut, das war schlecht, das hätte ich anders gemacht…“ Dessen sollte man sich bewusst sein und hier genau hinsehen und nachsteuern, dass auch entwicklungsorientiertes, persönliches Feedback gegeben wird, in dem auch über Verhalten, Fähigkeiten und Kompetenzen gesprochen wird.

 

KS: Hier ist es meiner Erfahrung nach hilfreich Kriterien bzw. Kategorien vorzugeben, wie z.B. Selbstmanagement, Zusammenarbeit im Team und mit Schnittstellen etc. An diesen können Führungskraft und Mitarbeiter sich im Feedbackgespräch sozusagen „entlanghangeln“.

 

TS: Guter Punkt, das ist auch in Trainings immer sehr hilfreich. Ich lade z.B. die Führungskräfte ein, ihr Verhalten im Hinblick auf Leadership- vs. Managementaktivitäten zu reflektieren, in welcher Kategorie mache ich eigentlich was? Regelmäßig wird deutlich, dass in der Kategorie Management eigentlich alle Hausaufgaben gemacht werden, während echte Leadershipaktivitäten – und dazu gehört natürlich Coaching der Mitarbeiter – oft zu kurz kommen. Allein das bewusst zu machen, schafft schon Aha-Erlebnisse. Ich will sagen: Die Bereitschaft, Mitarbeiter zu coachen, ist vielfach da, das notwendige Bewusstsein gilt es noch zu schärfen.

 

KS: Das mit der Bereitschaft kann ich nur unterstreichen. Immer häufiger äußern Vorgesetzte z.B. beim Auftragsklärungsgespräch ganz explizit die Bereitschaft, den Prozess durch eine eigene coachingorientierte Haltung zu unterstützen oder erzählen mir, aus welchen Gründen sie sich in diesem Fall entschieden haben, das Coaching nicht selbst zu übernehmen, sondern mich als Externe hinzu zu ziehen. Ich selbst binde, wann immer möglich, Vorgesetzte in den Coachingprozess ein. Sie haben den Vorteil, den Mitarbeiter „on the Job“ zu erleben, Entwicklungen wahrzunehmen und durch zeitnahes, beibehaltendes Feedback verstärken zu können. Wenn professionelles Coaching mit Coaching durch die Führungskraft Hand in Hand geht, führt das meiner Erfahrung nach zu optimalen Ergebnissen.

 

Lieber Thomas, herzlichen Dank für deine Zeit und den interessanten Austausch!

 

TS: Sehr gerne, Karin - es hat mir auch viel Spaß gemacht.

 

 

Die Autorin: Dr. Karin von Schumann
Die Autorin: Dr. Karin von Schumann

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