Karin von Schumann im Interview mit Tina Baacke

Virtuelle Coachingorientierte Führung:

Möglichkeiten und Grenzen von Coaching durch den Vorgesetzten über Distanz

 

Tina Baacke, Global Head of Catastrophe Risk Management, Global Head of Risk Consulting, Allianz Global Corporate & Specialty
Tina Baacke, Global Head of Catastrophe Risk Management, Global Head of Risk Consulting, Allianz Global Corporate & Specialty

 

Im Gespräch mit Frau Tina Baacke

Global Head of Catastrophe Risk Management,

seit 1.1.2017 Global Head of Risk Consulting,
Allianz Global Corporate & Specialty

 

KS: Was verbinden Sie mit Coaching als Führungsstil?

 

TB: Als Führungskraft bedeutet Coaching für mich in erster Linie, dass ich mich um meine Mitarbeiter kümmere – nicht nur, aber insbesondere im Hinblick auf deren Weiterentwicklung. Ich sehe es als meine Aufgabe, Optionen anzubieten, die aber auch auf den Mitarbeiter passen müssen. Es nützt nichts, wenn ich bei einem Mitarbeiter Potenziale entdecke und ihm beispielsweise die Möglichkeit gebe, für ein halbes Jahr ins Ausland zu gehen, derjenige aber gar kein Interesse daran hat. Somit sind für mich Dialog und Vertrauen die Basis dieses Führungsstils.

 

KS: Sie praktizieren also Coaching als Führungsstil…

 

TB: Ja, Coaching und Weiterentwicklung sind mir als Führungskraft sogar extrem wichtig. Mir liegen meine Mitarbeiter am Herzen und ich möchte, dass sie sich entfalten und entwickeln können, so wie ich das auch konnte. Ich selbst war meistens sehr proaktiv und hatte aus diesem inneren Antrieb heraus immer eine steile Lernkurve. Meinen Mitarbeitern möchte ich diese Erfahrung auch ermöglichen. Der eine nimmt das an, der andere nicht, was auch von der privaten Situation, der Persönlichkeit und den individuellen Zielen abhängt. Wer sich weiterentwickeln will, der bekommt bei mir definitiv die Chance dazu! Und davon profitiert auch das Unternehmen.

 

KS: Sie stellen also die individuelle Förderung der Mitarbeiter in den Fokus Ihrer Coachingaktivitäten. Was ist noch Bestandteil Ihrer Coachings?

 

TB: Es gibt noch einen zweiten Fokus, den Austausch auf einer vertrauensvollen Basis. Hier sehe ich mich in der Rolle einer Beraterin oder Mentorin. Mentoring halte ich übrigens ebenso wie Coaching für eine zentrale Führungsaufgabe. Daher engagiere ich mich hier im Unternehmen sehr stark dafür, sowohl was Einzel-  wie auch Gruppenmentoring betrifft.

 

KS: Stichwort „vertrauensvolle Basis“: Wie gelingt es Ihnen bei den Mitarbeitern, die Sie über eine z.T. große Distanz führen, Vertrauen aufzubauen?

 

TB: Hilfreich ist, dass man sich anfangs persönlich kennenlernt... Zudem bin ich sehr gut erreichbar und reagiere sehr schnell auf Anfragen. Wenn mir Kollegen aus USA oder Asien eine E-Mail schreiben zu einem kritischen Vorfall, dann wissen sie genau, dass ich schnellstmöglich antworte. Da ich viel in Besprechungen bin, ist es schwierig, mich tagsüber telefonisch zu erreichen. Aus diesem Grund nehmen die Kollegen zunächst meist über E-Mail Kontakt auf oder über meine Assistentin – und können sich 100 prozentig darauf verlassen, dass ich reagieren werde!

Last but not least braucht gerade mein virtuelles Team die Rückendeckung durch mich. Beispiel: Über einen Mitarbeiter wurden hinter seinem Rücken Unwahrheiten verbreitet. Dies kam ihm zu Ohren und er teilte es mir mit. Noch am gleichen Abend habe ich mich mit dem Chef der anderen Abteilung  ausgetauscht und  uns beiden war klar, dass das inakzeptabel ist und er hat dies mit seinem Mitarbeiter geklärt. Dieses Signal „Ich stehe hinter Dir/Euch“ wird vom eigenen Mitarbeiter/Team sehr geschätzt.

 

Ein weiteres Beispiel sind z.B. Krisen oder Krankheitsfälle in der Familie von Mitarbeitern: Wenn Mitarbeiter dann mehr für ihre Familie da sein müssen, ist es wichtig, Signale zu geben dass wir voll hinter ihnen stehen und es völlig okay ist, wenn man vorübergehend nicht so greifbar in der Arbeit ist. Dies kann schon eine kurze E-Mail sein. Diese Art von Unterstützung wird unglaublich wertgeschätzt von den betroffenen Mitarbeitern.

 

KS: Also durch möglichst rasches persönliches Kennenlernen, Verlässlichkeit und Rückendeckung schaffen Sie die notwendige Vertrauensbasis. Und in kritischen Lebenssituationen kann eine E-Mail ein unheimlich wichtiges positives Signal senden.

 

TB: Ja, genau. Manchmal kann man durch die Kommunikation via E-Mail auch ganz bewusst die Privatsphäre von Mitarbeitern respektieren, denn nicht in jeder Situation möchte man persönlich sprechen. Im Anschluss an die notwendige Unterstützung und Rückendeckung in speziellen Situationen sind die Mitarbeiter in der Regel auch dankbar und hoch motiviert.

 

KS: Stichwort Motivation: Wie gelingt es Ihnen generell, die Mitarbeiter über Distanz zu motivieren und zu überzeugen, im Hinblick auf ihre Aufgabe wie auch auf ihre persönliche Entwicklung?

 

TB: Bei der Führung über Distanz ist es extrem wichtig, dass Erfolge berücksichtigt und auch kommuniziert werden. Wenn jemand einen tollen Job gemacht hat, dann spreche ich das ganz bewusst vor dem restlichen Team an. Ich lobe die Person und zeige damit, dass der Erfolg gesehen und geschätzt wird – auch wenn er auf einem anderen Kontinent stattgefunden hat. Ich gebe meinen virtuellen Teammitgliedern auch ganz bewusst eine „Plattform“, lasse sie ihre Ergebnisse selbst, via Conference Call, vor meinem Chef oder auch anderen Gruppen präsentieren. Natürlich bin ich viel näher an dem Geschehen hier vor Ort dran und daher ist es umso wichtiger, die Erfolge an anderen Standorten herauszustellen.

 

KS: Eine weitere Facette des coachingorientierten Führungsstils ist die Förderung von Kreativität und eigenständigem Denken und Arbeiten („intellectual stimulation“). Was sind dazu Ihre Erfahrungen, wie kann das über Distanz funktionieren?

 

TB: In unserem sehr international aufgestellten Unternehmen ist es essentiell, dass wir immer das große Ganze sehen. Und verstehen, welchen Mehrwert wir in unterschiedlichen Bereichen durch unsere Arbeit schaffen. Dazu gebe ich Informationen, die ich z. B. vom Vorstand erhalte, schnell und konsequent weiter und zwar auf eine Art und Weise, dass es auch Juniors verstehen können. Weiterhin sind Austausch und Vernetzung gerade bei einem hochspezialisierten Team wie dem meinen von Bedeutung. Durch mein Netzwerk stelle ich Kontakte zu anderen, ebenfalls sehr spezialisierten Teams innerhalb des Konzerns her und frage diese, ob sie bereit wären, Präsentationen in Form von Webkonferenzen für mein Team zu halten. Ich habe das Format „Allianz Insights“ genannt und es hat sich inzwischen sehr gut etabliert. Mein Team hat gelernt, dass wir nicht die einzigen sind, die einen speziellen Hintergrund haben, also keine Exoten in der Versicherungswelt sind. Und dass es auch für sie viele Möglichkeiten gibt, sich weiterzuentwickeln. Dieses Format ist hervorragend dazu geeignet, sich gegenseitig Ideen zuzuspielen und voranzutreiben, über die eigenen Team- und Bereichsgrenzen hinweg – also genau das inspirierende  und stimulierende Moment, das Sie angesprochen haben. Daraus sind schon etliche tolle, innovative Projekte und Initiativen entstanden, die uns wirklich vorangebracht haben.

 

KS: Kommen wir nochmals zum Coaching im engeren Sinn, also zur  individuellen Förderung und Potenzialentwicklung der Mitarbeiter. Hier spielt ja Feedback eine große Rolle…

 

TB: Wir sind gerade dabei als Unternehmen das Thema Feedback auf allen Ebenen zu intensivieren. Man versucht nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeiter intern anzuleiten regelmäßig Feedback zugeben. Ich persönlich habe gemerkt, dass es anfangs für meine Mitarbeiter eine große Hürde darstellte, sich zu überwinden und Feedback an die Chefin zu geben. Ich habe aber immer wieder danach gefragt und inzwischen kommt auch mehr und mehr an Feedback zurück. Zudem nutzen wir einige standardisierte Tools, wie das 360° Feedback, die unter anderem auch sehr bei der Führung auf Distanz helfen. Ich persönlich lege größten Wert darauf, Feedback zeitnah zu geben. Wenn mir also bei einer Präsentation, sei sie face-to-face oder virtuell gehalten, etwas auffällt – positiv wie negativ – dann melde ich das sehr zeitnah an den Mitarbeiter zurück. Natürlich bin ich nicht bei allen Konferenzen oder Meetings zugeschaltet, leite aber auch Feedback, das mir über Teammitglieder oder andere Kollegen gegeben wird („XY hat eine super Präsentation gegeben“) immer weiter. Das motiviert, spornt an und zeigt meinem Team auch, das Feedback aus anderen Bereichen ankommt. Gerade für die, die weit weg sitzen, ist das extrem wichtig.

 

KS: Sie haben gerade den interessanten Aspekt genannt, dass im Konzern auch kollegiales Feedback und Reverse Feedback gefördert wird. Das wäre für mich ein Schritt in Richtung coachingorientierer Unternehmenskultur.

 

TB: Ja, da passiert momentan gerade sehr viel. Beispielsweise haben wir sogenannte Peer-to-Peer-Circles gebildet, innerhalb derer wir uns über schwierige Führungssituationen austauschen bzw. diese in Rollenspielen verpackt bearbeiten.

 

KS: Spannend! Wie viele Personen sind in so einem Peer-Circle?

 

TB: Das sind relativ kleine Gruppen von 3-4 Leuten. Die erste Session wurde über die Personalabteilung initiiert und dadurch haben sich kleine Gruppen herausgebildet, die mittlerweile selbstgesteuert arbeiten. Das Ganze findet an den jeweiligen Standorten statt, virtuell haben wir da noch keine Erfahrung.

 

KS: Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Wo sehen Sie den größten Unterschied zwischen coachingorientierter Führung vor Ort und auf Distanz?

 

TB: Der größte Unterschied liegt darin, dass die Mitarbeiter vor Ort auch einfach mal ins Büro „reinschneien“ können. Die Mitarbeiter hier am Standort haben beispielsweise Zugriff auf meinen Kalender, sehen genau, wenn ich mal eine halbe Stunde Luft habe und können daher einfach kommen und um Rat fragen. Da gibt es einige, die das sehr intensiv nutzen. Das können Mitarbeiter, die an einem anderen Standort sind, nicht so einfach. Natürlich hilft die Technik da ein bisschen, allerdings haben alle Mitarbeiter von anderen Standorten keinen Zugriff auf meinen Kalender und wissen dadurch eben nicht, wann sie am besten anrufen können. Allerdings funktioniert es mit diesen Mitarbeitern, wie ich anfangs schon erzählt habe, ganz gut per E-Mail oder über meine Assistentin. Und es ist eine Wertschätzung  auf beiden Seiten vorhanden, dass Zeit ein rares Gut ist und jeder entscheidet sehr verantwortungsvoll, wann Zeit in ein persönliches Gespräch gut investiert ist.

 

KS: Vielen Dank für Ihre Zeit und das wirklich interessante Gespräch, Frau Baacke.

 

 

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